SPREEUFER Consult GmbH

Opt-in oder Opt-out #1

Keine Frage von Ethik und Moral

Überlegung 1 Wir besuchen eine Dialysepraxis und fragen dort 100 Patienten, ob sie eine Spenderniere erhalten möchten. Genauer stellen wir die Frage so: „Sehr geehrte/r Patient/in, wir gehen davon aus, dass Sie eine Niere erhalten wollen. Wenn Sie dies explizit nicht wollen, kreuzen Sie bitte das folgende Kästchen an: __“ Ich würde ziemlich viel Geld darauf wetten, dass mindestens 99 Patienten das Kästchen leer lassen.

Überlegung 2 Wir machen dasselbe in einer anderen Praxis; allerdings lautet die Frage diesmal: „Sehr geehrte/r Patient/in, bitte kreuzen Sie das folgende Kästchen an, wenn Sie eine Spenderniere erhalten wollen (andernfalls gehen wir davon aus, dass Sie keine Niere wünschen): __“ Erneut würde ich eine große Summe setzen, aber diesmal würde ich darauf wetten, dass mindestens 99 Patienten das Kästchen ankreuzen.

Die beiden Fragestellungen haben die Besonderheit, jeweils einen Vorgabewert (‚default‘) zu setzen, der die Antwort vorgibt, wenn sie vom Befragten nicht aktiv verändert wird. Diese Form ist angemessen und richtig, wenn eine Stimmenthaltung keinen pragmatischen Sinn hat. Entweder man bekommt die Niere, oder man bekommt sie nicht. Es gibt keinen Mittelwert. Deshalb ist die offene Frage („Bitte kreuzen Sie an, ob Sie eine Niere wollen oder nicht: JA __ NEIN __“) problematisch. Denn was soll es bedeuten, wenn nichts angekreuzt wird? Jeder, der schon einmal solche Umfragen durchgeführt hat, weiß, dass es Menschen geben wird, die sich einer Antwort enthalten. Wir müssen also mit Vorgabewert arbeiten – die Frage ist nur, mit welchem!

Das oben gewählte Beispiel könnte so interpretiert werden, dass die Wahl des Vorgabewertes keine Rolle spielt. Denn wer eine Niere haben will, der wird sich die Frage genau durchlesen und dann das Richtige tun. Doch das stimmt nicht: In einem sehr bekannten Science-Artikel aus dem Jahr 2003 stellen die Autoren fest, dass die Antworten sich drastisch unterscheiden, wenn die zum obigen Beispiel passende Gegenfrage gestellt wird, wenn es also um die Bereitschaft geht, im Todesfall eine Niere zu spenden. Hier die im Artikel genannten erstaunlichen Zahlen:

Von 100 zufällig ausgewählten Menschen sind im Durchschnitt

12 in Deutschland 99,98 in Österreich
27,5 in den Niederlanden 98 in Belgien
4,25 in Dänemark 85,9 in Schweden

bereit, im Todesfall ein Organ zu spenden.

Der entscheidende Unterschied zwischen den Ländern ist allein die Wahl des Vorgabewertes. In den Ländern in der linken Spalte wird man erst zum Spender, wenn dieser Wunsch explizit geäußert wird; in den rechts aufgeführten Ländern ist es umgekehrt.

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